The Waiting

The Waiting
Seb-O-Mat im Juli 2006

10. Januar 2007

Anne und Clemenz

Hallo Clemenz!
Mir wurde mein Handy geklaut!
Ich hab Samstagnachmittag versucht dich zu finden.
Da dies nicht geklappt hat, musste ich mich für diesen Weg entscheiden und die ganze Straße liest gerade den gleichen Brief wie du!
Peinlich!!!
Ich brauche deine Nummer noch mal.
Es wäre schön wenn wir uns am Freitag um 18 Uhr - wie beim letzten Mal - vor dem Cafe (Balzac) treffen könnten.
Danke
Anne

P.S.: Da dieser Brief in den meisten Fällen nicht für sie bestimmt ist, tut mir die kleine Störung Leid und ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag.
Was sagt man dazu? Nichts böses ahnend, öffne ich soeben den Briefkasten. Wohlwissend, dass es noch keinen analogen Briefkasten-Spamschutz gibt, bin ich gefasst auf Rechnungen und Werbung. Beides trifft entsprechend der Vorsage hundertprozentig ein. Hundertprozentig? Nicht ganz! Zwischen den Rechnungen und der Werbung lag ein kleiner Zettel: in Times New Roman gedruckt, linksbündig gesetzt und schlecht geschnitten. Zunächst dachte ich, jemand würde mir auf die Handzettel-Art-und-Weise einen Job à la "2000,- € von zu Hause nebenbei verdienen. Ganz einfach und steuerfrei!" anbieten. Doch genaueres Hinsehen entpuppte obiges Zitat (im übrigen original übernommen).

Auf den Punkt gebracht: Anne sucht Clemenz(!), doch Clemenz' Telefonnummer war in Annes digitalem Gedächtnis - ihrem Handy - gespeichert, welches ihr ganz analog (hier in etwa 'oldschoolmäßig'), nämlich durch gemeinen Diebstahl, abhanden kam. Das ist nicht ungewöhnlich. Seien wir ehrlich: Es hätte jedem von uns passieren können. Wer hat schon noch ein handgeschriebenes Telefonbuch, dass einen Dieb interessieren könnte? Das spannende an dieser Geschichte ist jedoch Annes Pragmatismus, ihr unbedingter Wille Clemenz wiederzusehen und für ihr Problem eine unkonventionelle Lösung zu finden. Anstatt Clemenz einfach aufzugeben, was aufgrund unzähliger anderer Kontakte bei Skype, StudiVZ, ICQ und Konsorten wohl die bequemste Lösung gewesen wäre, besann Anne sich einer Zeit in der man die Menschen, mit denen man seine Zeit und seine Gedanken teilte, noch an deren Geruch erkennen konnte. Sie betrat jedes Haus in Clemenz' Straße eigenfüßig und warf in jeden Briefkasten egal ob Vorderhaus oder Quergebäude eine Zettel, den sie selbst verfasst und mit Liebe gedruckt hatte.

Wie hätten wir in Annes Situation reagiert? Vielleicht genauso, womöglich aber auch ganz anders. Das können wir nur hypothetisch konstruieren. Da das aber in einer dominant-digitalen Welt viel zu analog (hier in etwa 'kontingent') ist, sollten wir lieber zusehen, was mit dieser Geschichte noch passiert.

Wird Anne Clemenz wieder treffen? Wird sich die gesamte Bornholmer Straße, in deren Briefkästen Annes Spamwerk seine Blüte fand, gegen Anne auflehnen und einen menschlichen Firewall bilden, damit so etwas nicht noch einmal geschieht? Wird Anne lernen, von nun an immer auch Nachnamen und Anschrift ihrer Liebhaber zu erfragen? Wird sie eine andere Lehre daraus ziehen und sich ein Zweithandy zulegen? Wird sie...

Fragen über Fragen und die einzige Möglichkeit zu einer Antwort zu gelangen ist folgende: Alle, die sich in irgendeiner Form für diese Geschichte erwärmen konnten und unbedingt wissen wollen, wie es weitergeht, sollten am Freitag, den 12.01.2007 um 18 Uhr (wegen der guten Plätze vielleicht auch etwas früher), zum Café Balzac gleich am S- und U-Bahnhof Schönhauser Allee kommen. Ich jedenfalls verpasse dieses Treffen bestimmt nicht und wünsche mir, dass sie sich kriegen. Ich bin froh, dass es für Briefkästen keinen Firewall gibt.

PS.: Wer von Euch eine gute Fortsetzung findet, ist hiermit eingeladen, sie hier zu veröffentlichen.


6 Kommentare:

Uwe Zwo hat gesagt…

er lebt noch, er lebt noch, er lebt noch... weitermachen.

Seb-O-Mat hat gesagt…

jaaaaaaaaaaaaa!

Lisa hat gesagt…

sehr, sehr schönes zeug. wie wär's mit einer fotoreportage des treffens? Oder einem Interview?

Apfelrike hat gesagt…

Wenn ich könnte, würde ich kommen, um diese herzzereissende kleine Romanze selbst in Augenschein nehmen zu können. So muss ich leider weiter die verliebten Päarchen aus der Strassenbahn heraus beobachten...was auch schön ist, zumal die hiesigen Temperaturen das Liebesglück geradezu herausfordern...Es lebe der frühlingshafte Winter!

philaumonde hat gesagt…

was es lebe der frühlingshafte weinter.....ich verfalle in depressionen deswegen.........sollen sie ihre romanzen doch in den mai verschieben....

Uwe Zwo hat gesagt…

nana, als ob dich das im mai weniger kratzen würde...