The Waiting

The Waiting
Seb-O-Mat im Juli 2006

17. Januar 2007

Clemenz und Anne - eine Panne?

Freitag, 12.01.2007, 17:45h. Meine Mission: Beschattung mit Photo. Mein erster Auftrag im Interesse meiner Leser. Hatte ich ja selbst angezettelt. Ich muss aufs Klo. 17:48h. Jetzt aber los! Teleobjektiv nicht vergessen. Ein Leser kann auch gucken. Wär ja auch noch schöner, wenn nicht. Den Regenschirm nicht vergessen, es nieselt draussen. Außerdem schwarze Jacke, schwarzer Schal und schwarze Wollmütze angezogen, umgehängt und aufgesetzt. Das Stativ nicht vergessen, es ist dunkel. Die Bilder verwischen, wenn man kein Stativ benutzt. Ich entscheide mich für das Hama Profil 72. 'Stativ' mit kurzem 'i' und mit 'v'. Dazu Kamera und Teleobjektiv. Ich habe mir meinen Beobachtungsstandort schon mehrmals in Gedanken vorher ausgemalt. Es kann losgehen! Halt! Es fehlt noch ein Accessoire zur perfekten Tarnung: Ich hefte einen Tokio-Hotel-Button direkt an das Revers meiner schwarzen Winterjacke. Da ich mir meine Zielpersonen als der Jugendkultur zugehörig vorstelle, meine ich, so völlig unauffällig zu sein.

17:53h. Ich gehe los. Schnelle, große Schritte. Es ist kurz vor sechs, die Kirchturmglocken läuten schon. Ich bin so nervös, als rannte ich zu meinem eigenen Rendezvous. Ich überlege, was ich sage, wenn ich auf Clemenz und Anne treffe. Mein Herz hämmert - schneller als beim 100m-Sprint-Finale der 4x100m-Staffel zur Berliner Meisterschaft 1997. Diesmal will ich nicht ausrutschen, nicht zu spät kommen. Einen zweiten zweiten Platz kann ich nicht vertragen. Auf dem Gehweg überhole ich alle - rechts wie links - Rentner, junge Mütter mit Kinderwagen und Fahrradfahrer. Ich hätte vorher auch nicht gedacht, dass aus so einer kleinen Geschichte so eine Riesenstory werden könnte. 17:55h. Nur noch wenige Meter bis zur Hochbahntrasse auf der Schönhauser Allee direkt gegenüber vom Café Balzac. So hatte ich mir meinen idealen Standpunkt ausgemalt. Im Schatten der Treppe vom U-Bahnsteig wähnte ich ein gutes Versteck um den Strassenraum vor dem Café observieren zu können. Allein ein LKW macht mir einen mächtigen Strich durch die Rechnung. Als Lieferant für den an das Zielobjekt angrenzenden Waschmaschinen-An-und-Verkauf getarnt, stört er meine Sicht aufs Empfindlichste und so wird nichts aus meinem Beobachtungsposten. Überhaupt ist die ganze Schönhauser extrem unübersichtlich. Menschen kommen aus den Arkaden und überqueren ungefragt die Strasse in Richtung Balzac. Umgekehrt das Gleiche. Menschen verlassen das Balzac und überqueren die Schönhauser. Oder schlimmer noch: Sie gehen zu Alain's Imbiss und nehmen noch eine Kettwurst ein. Es ist ein Durcheinander und es ist: 18:00h! Hinzu kommt, dass das Wetter sich verschlechtert. Aus dem Nieseln wird ein starkes Nieseln. Ich entscheide mich, zwischen dem LKW und dem Balzac, also ziemlich genau vor den großen Schaufenstern des Cafés, mein Stativ aufzustellen und zu warten. Immer noch das gleiche Bild. Obwohl es regnet: überall Menschen. Vermutlich haben die ein Zuhause und wollen auch noch da hin. Geschäftiges Treiben. Von Anne und Clemenz keine Spur, die Bank vor dem Balzac ist leer.

So langsam kommt mir der Gedanke, dass ich keine Vorstellung davon habe, wie Anne und Clemenz aussehen könnten. Ich erinnerte mich an meinen Freund Clemens. Vielleicht sieht Clemenz aus wie Clemens. Vielleicht sind sie ja ein und dieselbe Person. Dann fällt mir ein, dass Clemens gar nicht in der Bornholmer Strasse wohnt und daher nie Annes Flugzettel hätte bekommen können. Vielleicht hatte Clemenz ihr das auch nur gesagt, um sie schneller wieder los zu werden. Haltlose Spekulationen helfen an dieser Stelle aber nicht weiter.

Ich stecke den Apparat in die Stativhalterung und drücke ab. Unterbelichtet! Verdammt, ich habe noch den Landschaft-bei-Sonnenschein-Modus vom Grenoble-Urlaub eingestellt! Von Anne keine Spur. Kalter Regen tropft auf meine Hand. Das Objektiv hat schon zwei Tropfen abbekommen. Ich schieße weitere Alibi-Fotos.

Seb-O-Mat, Berlin am 12.01.2007

Meine Gedanken sind bei Anne, Clemenz und meinen Lesern. Ist Anne nicht gekommen? Hat Clemenz den Zettel nie erhalten? Hat Clemenz versucht, Anne anzurufen? Sie aber nicht erreicht, weil er nicht wusste, dass ihr Handy gestohlen wurde? Schon wieder Spekulationen! 18:10h. Ich gehe rein. "Zugriff!" flüstere ich in Richtung meines Tokio-Hotel-Buttons am Revers meiner Jacke. Zwei Sekunden später bin ich mir peinlich und hoffe, dass es niemand gesehen hat.

Ich bin drin und durchquere in einer mir eigenen, aber unbeschreiblichen Art den Laden. Alle gucken mich an, meine Tarnung ist aufgeflogen! "Macht nichts!" denke ich, ist ja mein erstes Mal. Ich bestelle sofort, um neue Tarnpunkte zu bekommen, einen Latte Macchiato, natürlich richtig ausgesprochen, damit's nicht auffällt. Der Übereignungsakt erfolgt ohne nennenswerte Zwischenfälle. "Wenigstens eine Sache, die klappt", denke ich bei mir. Habe ich ja auch schon hundertmal geübt, hier im P-Berg. Nachdem ich mir, wie üblich, Zimt und braunen Zucker auf die Latte gestreut habe, nehme ich mir einen günstigen Platz als Beobachtungsposten.

Seb-O-Mat, Berlin am 12.01.2007

Ich setze mich am Fenster auf einen von den Ich-mache-meine-Hausaufgaben-und-gucke-dabei-sowieso-nur-
draussen-die-Leute-an-Plätzen und bin strategisch bestens platziert. Von hier aus kann ich sowohl die Szenerie vor dem Laden, als auch den Türbereich gut einsehen. Und wenn ich mal muss, ist die Klotür gleich hinter mir. Und wenn Anne und Clemenz mal müssen, müssen sie an mir vorbeimüssen. Ich sitze und warte. Das Observierungsgeschäft war noch nie mit opulenten Ergebnissen gesegnet. Es ist ist inzwischen 18:15h. Das akademische Viertel ist um...

5 Kommentare:

philaumonde hat gesagt…

hm, schade....aber netter post!

Uwe Zwo hat gesagt…

Wo streust du Zimt und braunen Zucker hin?

Unknown hat gesagt…

Na auf seine Latte! Ich frage mich ja eher, wer wohl den größeren Nutzen daraus ziehen könnte...

Lisa hat gesagt…

hihi, sehr hübsch! Besonders gefällt mir das sich ständig wiederholende Klomotiv: Bereits im 5. Satz "Ich muss aufs Klo". Und: "Und wenn ich mal muss, ist die Klotür gleich hinter mir." Oder: "Und wenn Anne und Clemenz mal müssen, müssen sie an mir vorbeimüssen." Erinnert mich an die Figur des liebenswürdig trotteligen Detektivs, wie sie vielleicht bei Hercule Poirot zu finden ist. Dein Detektiv nimmt seine Arbeit ja übrigens fast genauso übertrieben ernst: "Zugriff!" flüstere ich in Richtung meines Tokio-Hotel-Buttons am Revers meiner Jacke." In diesem Sinne, wenn ich es nicht vorher schon gewußt hätte, weiß man mindestens jetzt, welcher deutsche Sänger dir ganz besonders Nahe steht!(ähm, natürlich keine Anspielung auf Tokio Hotel ...is klar, oder?)

Seb-O-Mat hat gesagt…

noch gar nicht lange am markt und schon literarisch analysiert. vielen dank ;-)